Zeichnerin im Interview Wie entsteht ein Phantombild?

Wie entsteht ein Phantombild eines Verdächtigen? Eine Zeichnerin der Berliner Polizei gewährt Einblicke in ihre Arbeit.
In besonders spektakulären Kriminalfällen kann es vorkommen, dass die Polizei Phantombilder von Verdächtigen veröffentlicht. Viel häufiger werden diese Bilder jedoch nur intern für die Ermittlungen genutzt.
Aber wer fertigt sie an? Worauf kommt es bei der Erstellung an? Und welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz dabei? Eine Phantombildzeichnerin der Berliner Polizei, die anonym bleiben möchte, erklärt t-online ihre Arbeit.
t-online: Was macht ein gutes Phantombild aus?
Phantombildzeichnerin: Ein gutes Phantombild kann nur entstehen, wenn Geschädigte oder Zeugen das Gesicht der gesuchten Person im entscheidenden Moment gut abspeichern konnten. Wir Phantombildzeichnenden sind dann nur das Medium, das die Erinnerung zu Papier oder auf den Bildschirm bringt. Die Qualität des Bildes hängt also vor allem von der Erinnerung ab und weniger von der Qualifikation der zeichnenden Person.
Gibt es Faktoren, die beeinflussen, wie gut sich jemand an ein Gesicht erinnern kann?
Spannenderweise können wir Gesichter besser beschreiben, die wir einmal kurz in einer Extremsituation sehen. Wen man sehr gut kennt, kann man schlechter beschreiben. Wenn Menschen angespannt sind, kann das Gehirn teilweise besser arbeiten und so Erinnerungen besser abspeichern. Außerdem speichert man Gesichter ganz anders ab, wenn man sie zum ersten Mal sieht.
Wie meinen Sie das?
Beim ersten Treffen versuchen wir, Merkmale abzuspeichern, anhand derer wir die Person wiedererkennen. Wenn man einen Menschen sehr häufig sieht, funktioniert dieser Wiedererkennungsprozess in Millisekunden, man muss die Person in der Regel nicht einmal richtig anschauen, der Kontext der Situation reicht schon. Der Kollege bei der Arbeit sitzt etwa auf dem Stuhl, auf dem er immer sitzt, das weiß ich, ohne sein Gesicht genau zu betrachten. Bei Menschen, die wir kennen, wechseln wir deshalb in eine Art emotionales Sehen. Es geht nicht mehr um die Wiedererkennung, sondern etwa darum, wie es der Person heute geht.
Wir schauen also die Menschen, die wir gut kennen, oft gar nicht richtig an?
Genau, richtig. Wenn man jemanden fragt, was hat dein Bruder denn für eine Nase, dann kommt oft so etwas wie: "Keine Ahnung, eine normale Nase." Eine normale Nase gibt es aber nicht.
Gibt es Merkmale in einem Gesicht, die bei einem Phantombild besonders wichtig sind?
Besonders außergewöhnliche Merkmale machen das Erkennen natürlich einfacher. So etwas wie Narben, Pigmentmerkmale oder Piercings und Tattoos zum Beispiel. Oft ist es so, dass Gesichter, die weithin als schön wahrgenommen werden, schwerer zu beschreiben sind, weil sie besonders symmetrisch sind und keine besonderen Merkmale haben.
Wenn wir uns mit Menschen unterhalten, schauen wir vor allem in die Augen und auf den Mund.
Phantombildzeichnerin der Berliner Polizei
Aber kann man beispielsweise sagen, die Augen sind wichtiger als die Nase bei der Beschreibung?
Ein wenig ist das tatsächlich so. Wenn wir uns mit Menschen unterhalten, schauen wir vor allem in die Augen und auf den Mund. Studien zeigen, dass diese beiden Punkte besonders fokussiert werden. Deshalb fällt es vielen leichter, diese Partien zu beschreiben. Und wenn man eine völlig falsche Nase auswählt, ist das für den Wiedererkennungswert auch weniger schädlich als etwa falsche Augen.
Wer entscheidet eigentlich, dass ein Phantombild angefertigt werden soll?
Das ist die alleinige Entscheidung der zuständigen Ermittler in einem Fall. Ob bei einem einfachen Diebstahl oder bei einem Mord, wenn sie das für sinnvoll erachten, können sie bei uns ein Phantombild in Auftrag geben. Die meisten Phantombilder werden nur intern für die Ermittlungen genutzt oder in Tatortnähe möglichen Zeugen vorgelegt.
In welchen Fällen werden sie veröffentlicht?
Dafür sind die Hürden deutlich höher, da es gewisse Risiken gibt. Zum einen haben auch Tatverdächtige Persönlichkeitsrechte. Zum anderen besteht bei Phantombildern immer das Risiko der Verwechslung. Menschen, die mit einer Tat gar nichts zu tun haben, könnten dem Phantombild ähnlich sehen und so öffentlich vorverurteilt werden. Deshalb muss immer die Staatsanwaltschaft zustimmen, bevor ein Phantombild veröffentlicht wird.
Ist Ihnen ein Fall, in dem Sie ein Phantombild angefertigt haben, besonders in Erinnerung geblieben?
Ich bin erst seit zwei Jahren dabei, deshalb liegt mein eindrücklichster Fall nicht lange zurück. Bei dem versuchten Mord an einer Tochter und ihrer Mutter im Juni in Lichtenberg habe ich das Phantombild angefertigt, das dann auch veröffentlicht wurde. Durch dieses Bild konnte dann tatsächlich ein Verdächtiger gefasst werden. Das ist dann schon etwas Besonderes.
Die Herausforderung ist weniger das Kreative, sondern mehr der Umgang mit Zeugen und Geschädigten.
Phantombildzeichnerin der Berliner Polizei
Wie effektiv sind Phantombilder? Wie oft führen sie zum Täter?
Das lässt sich tatsächlich schwer einschätzen, da wir als Phantombildzeichnende selten Rückmeldung zum Ausgang eines Verfahrens erhalten. Wird ein Phantombild veröffentlicht – was äußerst selten der Fall ist – bekommen wir das natürlich mit. Ob dieses dann aber letztendlich zur Ergreifung einer tatverdächtigen Person führt, erfahren wir nicht.
Wie wird man Phantombildzeichnerin?
Ich persönlich bin da eher "reingestolpert". Das Phantombildzeichnen ist für niemanden die Hauptaufgabe. Wir sind alle am Kriminaltechnischen Institut in verschiedenen Bereichen tätig. Als dann im Institut eine Umfrage gestartet wurde, wer sich die Tätigkeit vorstellen könnte, habe ich mich gemeldet. Die Herausforderung ist weniger das Kreative, sondern mehr der Umgang mit Zeugen und Geschädigten. In mehrstufigen Kursen erfolgt die Ausbildung zur Phantombildzeichnerin.
Werden Sie auch bald durch eine KI ersetzt?
Das glaube ich nicht. KI ist von Prompts abhängig, also von Text. Kein Mensch kann aber mit Worten ein Gesicht so beschreiben, dass es erkennbar wird. Wir arbeiten mit Vorlagen von Nasen, Mündern und Köpfen, die wir dann durch gezieltes Nachfragen im Detail anpassen. In diesem Prozess müssen wir empathisch mit den Menschen umgehen, die ein potenziell traumatisches Erlebnis hinter sich haben. Das kann ein Computer nicht so gut. Das heißt aber nicht, dass wir KI nicht nutzen. Sie kann etwa dabei helfen, Details an Bildern schneller anzupassen, als es bisher möglich war.
- Persönliches Interview mit einer Phantombildzeichnerin der Polizei Berlin
