SchwuZ vor dem Aus? "Es fehlten zwischen 30.000 und 60.000 Euro im Monat"

In Berlin kämpfen immer mehr Clubs um das Überleben. Auch betroffen: das SchwuZ in Neukölln. Die Verantwortlichen mussten sogar Insolvenz anmelden. Was das bedeutet.
Das SchwuZ in Berlin-Neukölln ist der größte queere Club Deutschlands. Anfang August teilten die Verantwortlichen mit, dass die Lokalität in der Rollbergsiedlung Insolvenz anmelden musste. Außerdem starteten sie einen Hilferuf in den sozialen Medien mit der Bitte, das SchwuZ durch einen Besuch zu unterstützen. Bis zum Oktober haben sie nun Zeit, neue Konzepte zu entwickeln und so eine Zukunft des Clubs sicherzustellen.
Katja Jäger ist seit Januar Geschäftsführerin des SchwuZ. Sie begann zunächst als Co-Leiterin, im März ging ihr Partner in der Geschäftsführung neue Wege. Seither ist sie alleine für den Club zuständig. Im Interview spricht sie über die Gründe für die Insolvenz und die Entlassung von mehr als 30 Mitarbeitenden.
t-online: Warum war der Schritt der Insolvenzanmeldung nicht zu umgehen?
Katja Jäger: Wegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Binnen des nächsten Jahres hätten wir Verbindlichkeiten nicht mehr decken können. Wir haben in den letzten eineinhalb Jahren einen massiven Umsatzrückgang festgestellt. Vor meiner Zeit wurde darauf zwar mit kleinen Anpassungen reagiert, aber der Abwärtstrend konnte nicht aufgehalten werden.
War Ihnen klar, dass es diese Defizite gibt, als Sie im Januar die Co-Leitung des SchwuZ übernommen haben?
Mir wurde gesagt, dass es ein negatives Jahresdefizit für 2024 gibt und bereits mit Maßnahmen gegengesteuert wurde. Das Ausmaß der Krise wurde dabei nicht verdeutlicht. Als ich dann im März alleinige Geschäftsführerin wurde, habe ich mir einen detaillierten Überblick verschafft. Mir wurde klar, dass das mit den Zahlen nicht lange gut geht. Es fehlten zwischen 30.000 und 60.000 Euro im Monat.
Wie kann so etwas denn passieren? Sind Ihre Vorgänger zu naiv mit der Situation umgegangen?
Ich versuche, ihre Seite zu sehen. Nämlich, dass es bisher 47 Jahre gut ging. Das SchwuZ ist eine Kulturinstitution mit einem Ruf in der Stadt. Bei einem negativen Trend denkt man in der Regel nicht sofort an das Aus des Clubs. Aber ja, den richtigen Realitätscheck habe ich dann erst umgesetzt.
Die fetten Jahre sind vorbei
Katja Jäger, Geschäftsführerin Schwuz
Teil des Realitätschecks war es dann auch, mehr als 30 Mitarbeiter zu entlassen.
Das war eine notwendige Maßnahme, zu der es negative Presse gab. Einige Medien haben sich darauf gestürzt, dass langjährige Mitarbeitende gehen mussten. Was zur Einordnung wichtig ist: Bei vielen handelte es sich um Teilzeitstellen, es waren keine sieben Vollzeit-Äquivalente. Nicht falsch verstehen: Trotzdem fiel mir dieser Schritt schwer, weil es sich um Menschen handelt, die zudem auch fester Teil der queeren SchwuZ-Community sind. Aber gerade die vielen Stellen mit wenigen Wochenstunden haben in der Buchhaltung zu enormen Kosten geführt. Als es gut lief, war das für das Unternehmen auch in Ordnung. Nur mussten wir nun leider feststellen: Die fetten Jahre sind vorbei. Wir brauchen mehr Effizienz und weniger gestreutes Personal, um den Club aufrechtzuerhalten. Derzeit sind wir mit nahezu 80 Mitarbeitenden weiter handlungsfähig.
Man hört allerdings, dass Mitarbeiter ohne Vorankündigung von den Entlassungen überrascht wurden. Können Sie den Unmut in der Belegschaft nachvollziehen?
Ich kann verstehen, dass das weh tut und schockiert. Auf einer Belegschaftsversammlung war die Stimmung nicht besonders gut. Dennoch ist es für das Unternehmen ein erforderlicher Schritt gewesen. Und es gibt auch Menschen – sowohl gekündigt als auch nicht gekündigt – die sagen, dass es die richtige Konsequenz ist.

Das SchwuZ
Das SchwuZ besteht seit dem Jahr 1977 und ist seither ein zentraler Treffpunkt der queeren Community. Der Club hat im Laufe der Jahrzehnte unter anderem das Stadtmagazin Siegessäule, die Schwulenberatung und den Berliner CSD auf den Weg gebracht. 2013 zog das SchwuZ vom Mehringdamm in die Rollbergsiedlung.
Es gibt das generelle Problem des Clubsterbens. Aber wurden in der Vergangenheit auch vom SchwuZ Fehler begangen?
Wir müssen ehrlich sein: In der Vergangenheit hätten wir unser künstlerisches Programm stärker hinterfragen sollen. Kommentare wie "auf den Partys läuft immer derselbe Katy-Perry-Song" sind zwar überspitzt, spiegeln aber ein Gefühl wider, dass es an Abwechslung gefehlt hat. Deshalb haben wir in den letzten Monaten bewusst begonnen, unser Programm zu überarbeiten: Neue DJs, Artists und ein Newcomer-Programm bereichern jetzt unsere Bühne. Wir sind im ständigen Austausch mit unseren Künstlerinnen und Künstlern und nehmen uns selbstkritisch die Zeit, zu reflektieren, wo wir besser werden können. Vielleicht hätten wir diesen Schritt schon früher gehen sollen – jetzt liegt unser Fokus darauf, das Vertrauen unserer Gäste zurückzugewinnen und wieder spannende, abwechslungsreiche Erlebnisse zu schaffen.
Das Insolvenzverfahren wird, Stand jetzt, Anfang Oktober eröffnet. Sie sind gerade also dabei, neue Wege zu finden, wie es weitergehen könnte?
Ja, genau. Wir sind aktuell dabei, neue Wege zu prüfen, wie es weitergehen kann. Unser Ziel ist es, den Club offenzuhalten und unserer Belegschaft das Vertrauen zu geben, dass es sich lohnt, gemeinsam weiterzumachen. Wir haben in den nächsten Wochen tolle Partys geplant, das Programm steht. Insofern sind wir guter Dinge, dass der Weg weitergeht und die Änderungen der letzten Wochen nun Früchte tragen.
Neben mehr Gästen werden Sie auch die Kosten langfristig niedrig halten müssen. Was planen Sie da?
Das sind Dinge, die gerade noch in der Planung sind. Die Frage wird sein, wie wir uns ab Oktober strukturell aufstellen. Da gibt es unterschiedliche Varianten und Konzepte, die wir aktuell prüfen. Vor allem müssen wir jetzt aber schauen, dass die Menschen zurückkommen.
Da wird es vermutlich auch darum gehen, der generellen Entwicklung des Clubsterbens entgegenzuwirken. Welche Veränderung sehen Sie bei den Partygängern in den vergangenen fünf Jahren?
Durch die Corona-Zeit hat eine andere Sozialisierung stattgefunden. Menschen verabreden sich anders. Wir sehen, dass sie seltener feiern gehen. Unser Stammpublikum, das früher einmal die Woche hier war, kommt jetzt vielleicht noch einmal im Monat. Bei den jungen Menschen gestaltet sich das punktueller. Die gehen eher zu einer Party, bei der ein bestimmtes Kollektiv oder ein bestimmter DJ auflegt. Deshalb arbeiten wir verstärkt mit Kollektiven zusammen. Wir haben etwa eine Furiosa-Party ins Haus geholt und auch eine Gothic-Party aus Mannheim. Wir versuchen, unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen.
Sie haben sich mit der Ankündigung der Insolvenzanmeldung Anfang August an die queere Community gewandt und um Hilfe gebeten. Was hat sich in den letzten Wochen verändert?
Der Club war in den letzten Wochen voller als in den ersten Monaten des Jahres – sogar bis zur Kapazitätsgrenze. Das ist für uns ein klares Signal der Community, dass es weitergehen soll. Auch die Verkäufe unserer Abos für 29,90 Euro sind stark nach oben gegangen. Damit können Menschen so oft wie sie wollen in den Club – und uns dadurch enorm unterstützen.
Wir möchten das Vertrauen der Community Schritt für Schritt zurückgewinnen
Katja Jäger, Geschäftsführerin Schwuz
Sie sagten vorhin selbst, dass das SchwuZ eine Institution in Berlin ist. Was bedeutet der Ort denn den Menschen der queeren Community?
Es ist für viele ein zweites Zuhause und ein "Safer Space". Hier können sie sich sicherer fühlen als an vielen anderen Orten Berlins. Es ist ein Ort, der durch langjährige Freundschaften geprägt ist. Das SchwuZ ist nicht irgendein Tanzclub, sondern ein Platz, an dem gesellschaftlicher Austausch stattfindet. Queere Menschen können hier ihre Kunst präsentieren, sich ausprobieren. Und es ist ein schöner Gegenentwurf zu dem sonst düsteren Berliner Techno-Vibe. Gleichzeitig dürfen wir nicht so tun, als sei in den letzten Monaten keine Kritik laut geworden. Wir haben diese Rückmeldungen sehr ernst genommen, in den letzten Monaten bereits viele Veränderungen umgesetzt und führen kontinuierlich Gespräche mit Künstlerinnen und Künstlern, DJs und Gästen. Wir bleiben offen für Anregungen und möchten das Vertrauen der Community Schritt für Schritt zurückgewinnen, während wir gestärkt weitermachen.
Ist auch ein möglicher Investor im Gespräch?
Auch das ist möglich, bald wird die Insolvenzverwalterin dahingehend einen Aufruf starten. Am besten wäre eine Person, die eine Queer-Sensibilität mitbringt. Also ein Mensch, der nicht nur einen Club führen will, sondern mit Herzblut bei der Sache ist und das SchwuZ aufleben lassen möchte.
Sie sind also optimistisch, dass das SchwuZ gerettet werden kann?
Ich bin grundsätzlich optimistisch. Sonst würde ich diesen Job auch nicht machen.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Interview mit Katja Jäger, Geschäftsführerin des SchwuZ
- schwuz.de: Informationen über den Club
